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Drei Haselnüsse sind nicht genug

von

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Kapitel 13
 

Alenas POV
 

„Alena.“
 

Ein Grinsen breitete sich bei der Erinnerung auf ihrem Gesicht aus, begleitet von einem Herzklopfen, als würde es ihre Brust jeden Moment sprengen.
 

Es war bereits ein Tag vergangen, seit sie Filip ihren wahren Namen gesagt hatte und doch ging ihr der Moment nicht mehr aus dem Kopf. Der Moment, als Filip ihren Namen wiederholte. Als er ihn das erste Mal aussprach. Nicht nur, dass er es war, er war auch seit über zehn Jahren der Erste, der ihn sagte. Er machte ihren Namen wieder zu etwas Besonderem, zu ihrem Eigen. Es war keine Erinnerung mehr an eine verlorene Zeit, an die Schmerzen und den Verlust.
 

Stattdessen war es, als wäre ein Teil von ihr wieder zurückgekehrt, der lange verschüttet gewesen war. Sie würde kein neuer Mensch werden, aber die Hoffnung war wieder da. Die Hoffnung und die Erinnerung an ihren Vater. An ihre Familie.
 

„Was lachst du?!“
 

Sich innerlich verfluchend, zwang sich Alena dazu, ihre Miene wieder zu kontrollieren. Sie hob ihren Blick nur ansatzweise, als würde sie es nicht wagen, ihre Stiefmutter anzusehen.
 

„Ich musste an einen Witz von Vinzek denken, vergebt mir bitte.“
 

„Er hat dir keine Witze zu erzählen. Das ist verschwendete Zeit, die ihr besser mit Arbeit verbringen solltet! Wozu geben wir euch Essen und ein Dach über dem Kopf?“
 

„Verzeiht mir.“
 

Demütig senkte sie den Kopf, als würde sie die beiden nicht innerlich verfluchen und anklagen. Essen? Die Bewohner hatten seit Wochen nur wässrige Suppe bekommen, während die Herrin und Dora so fein speisten wie noch nie. Ein Dach über dem Kopf? Als müsste sie nicht selbstständig die Löcher in besagtem Dach stopfen. Als müsste Vinzek nicht mit etwas Stroh auskommen, obwohl er der leitende Knecht war.
 

„Pah!“
 

Ihre Stiefmutter wendete sich ab und Dora zu, welche wieder einmal ein neues Kleid anprobierte.
 

„Werde ich ihm so gefallen, Mutter?“
 

„Keine Sorge. Er wird dir zu Füßen legen, egal was du trägst. Aber wie wir wissen, hat er eine Schwäche für Schleier und blassrosa.“
 

Der Seitenhieb entging Alena nicht. Aber anstatt sie zu treffen, musste sie sich zusammenreißen, nicht zu lachen. Als ob die Farbe ihres Kleides etwas mit Filips Zuneigung zu tun gehabt hätte. Als ob er sie erst an diesem Abend kennengelernt hätte.
 

Aber gleichzeitig fragte sie sich auch, ob Dora überhaupt wusste, was ihre Mutter plante. Ob sie wusste, dass Filip erpresst wurde und sie nie im Leben freiwillig heiraten würde. Sollte sie Dora einweihen? Auf ihre Seite ziehen?
 

Ein Blick zu ihrer Stiefschwester reichte und Erinnerungen an Misshandlungen kamen hoch. Dora hatte nie in ihrem Leben versucht, Alena zu beschützen oder ihre Freundin zu werden. Natürlich war von ihrer Mutter beeinflusst worden, aber sie war inzwischen alt genug, sich selbst dafür zu entscheiden, wie sie zu anderen Menschen war. Und sie hatte den Hass gewählt. Den Hass und den Betrug. Sie hatte sich nie gewehrt und sie würde Filip auch heiraten, wenn er bewusstlos zum Traualtar geschleift werden würde. Denn es ging ihr nicht um eine glückliche Ehe oder um diesen Mann. Nein, es ging ihr um ihre Position und um die Macht, die sie bekommen würde.
 

Und damit verschwanden alle Zweifel, die sie bisher gehabt hatte. Sie würde den beiden eine Lektion erteilen, die sie ihr Leben lang nicht mehr vergessen würden.
 

Doch dafür musste sie ihren Stammbaum finden, sowie das Gemälde. Aber wann? Das „wo“, war keine Frage, denn nichts hütete ihre Stiefmutter so sehr wie das Geheimversteck in ihrem Arbeitszimmer. Sie musste also einen Weg finden, ihr den Schlüssel abzunehmen, welchen sie immer bei sich trug und ihre Sachen zu durchwühlen, ohne dass sie misstrauisch wurde.

Was für eine Freude . . .
 

Aber was, wenn ihre Stiefmutter abgelenkt war? Wenn sie zwar weiterhin bei Hofe war, aber abgelenkt durch einen Besuch? Beispielsweise? Es konnte aber nicht Filip sein, das würde sie misstrauisch machen. Und eventuell dafür sorgen, dass sie Alena einsperren würde, was nicht passieren durfte. Aber die Person musste wichtig genug sein, um sie für mehr als fünf Minuten aufzuhalten. Also vielleicht . . . Vitek?
 

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Viteks POV
 

Warum ließ er sich noch mal zu solch waghalsigen Manövern überreden?

Ach ja, sein bester Freund war ein Prinz. Deshalb vielleicht. Oder weil Aschenbrö ... Alena so freundlich gefragt hatte. Oder weil er ein Trottel war und zu einem Abenteuer nicht Nein sagen konnte.
 

Egal wie es war, nun stand Vitek vor den Toren des Anwesens und bat um Einlass für sich und sein Pferd. Er habe einen langen Ritt hinter sich und bräuchte etwas Rast, bevor er sich auf den letzten Abschnitt zum Schloss aufmachte.
 

Es dauert nicht lange und er wurde eingelassen. Nicht nur das. Kaum hatte er den Innenhof betreten, kam ihm bereits die Gutsbesitzerin entgegen gelaufen. Sie versuchte wohl zu schreiten, aber ihre Freude über solch einen adeligen Besuch, verhinderte jede elegante Fortbewegung.
 

„Mein Herr!“
 

Mit einer Handbewegung zeigte sie einem Knecht an, dass er das Pferd versorgen sollte.
 

„Was für eine Ehre, mein Herr! Natürlich dürft Ihr Euch auf meinem Gut ausruhen. Ihr könnt sogar hier nächtigen, wenn Ihr es wünscht!“
 

Von dem, was er mitbekommen hatte, waren diese Worte höflicher als alles, was sie im dunklen Wald zu Filip gesagt hatte. Was für eine Hexe!
 

„Zu gütig, Madame“, erwiderte er.
 

„Möchtet Ihr eine kleine Erfrischung, mein Herr?“
 

Vitek nickte, den Blick neugierig auf den Hof gerichtet.
 

„Wenn es nicht zu viel verlangt ist, würde ich danach auch gerne Euer Anwesen besichtigen, Madame.“
 

Die Alte lachte, als hätte sie einen Schatz entdeckt und führte ihn in ihr Arbeitszimmer.
 

Erst eine Stunde später schaffte Vitek es, seine Gastgeberin zu einer Runde über den Hof zu überreden. Aschenbr. . . Alena war inzwischen ebenfalls im Arbeitszimmer, um ihm die Erfrischung zu bringen und auf weitere Aufträge zu warten.
 

Wie sie in der Ecke stand und höflich den Blick senkte, machte ihn fast wahnsinnig. Das war nicht sie, so kannte er sie nicht. Und doch . . . Das war ihr Leben und das Leben vieler anderer. Diese falsche Demut gegenüber einem Tyrannen war falsch und am liebsten hätte Vitek sie direkt entführt und zu Filip gebracht. Aber sie hatten einen Plan zu erfüllen.
 

Die Alte winkte Alena zu sich, um sie beim Aufstehen zu stützen, als wäre sie eine gebrechliche Adelige. Dabei war sie zum einen weder gebrechlich, noch wäre Alena die angemessene Hilfe, wäre sie es doch. Aber Alena stand schweigend bei ihr, nur einmal kurz schwankte sie. Vermutlich auf Grund des Gewichts.
 

„Lasst mich, Madame. Bitte erweist mir die Ehre.“
 

Ein Strahlen übernahm das Gesicht der Alten und sie scheuchte Alena davon, als wäre sie ein Vogel: „Ich brauche dich nicht mehr, Aschenbrödel. Warte, bis ich dich rufe.“
 

Und damit machten sie sich auf, zu einer langen, qualvollen Besichtigung des Guts.
 

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Alenas POV
 

Kaum hatten ihre Stiefmutter und Vitek die Haustüre hinter sich geschlossen, da kehrte Alena zurück in das Arbeitszimmer und schloss die Türe hinter sich.
 

Vorsichtig, um ja niemanden auf ihre Anwesenheit aufmerksam zu machen, holte sie den Schlüsselbund aus ihrer Rocktasche, welchen sie ihrer Stiefmutter abgenommen hatte. Was so ein kleines Stolpern doch alles bewirken konnte! Und wenn Vitek nicht dabei gewesen wäre, hätte sie dafür auch noch Ärger bekommen. Aber nicht vor ihrem Gast, nein.

Was ihre Stiefmutter wohl dachte? Oder erhoffte? Sie glaubte wohl kaum, dass Vitek sich tatsächlich für sie interessieren würde, oder? Fühlte sie sich lediglich geehrt? Oder war er nun die Alternative, wenn die Heirat zwischen Dora und Filip nicht Zustande kommen würde?

Aber dann musste sie sich wohl auf eine böse Überraschung gefasst machen!
 

Leise schlich sie geduckt an dem großen Fenster vorbei zu der vertafelten Wand neben den Bücherregalen. Ein großes, altes Gemälde zierte einen großen Teil von dieser. Wäre es nicht die Verdeckung des Geheimverstecks, so würde es wohl längst nicht mehr hängen. Stattdessen wäre es dem Pfandleiher übergeben worden. Was auf Grund seiner Hässlichkeit nicht einmal schade gewesen wäre. Doch zum Glück war es dasselbe, wie früher, denn allein aus diesem Grund wusste, Alena, wo sie nach dem Verschluss suchen musste, um eine Seite von der Wand zu lösen.
 

Das fehlende Knarzen ließ darauf schließen, dass das Versteck weiterhin fleißig genutzt wurde und zumindest irgendeine Art von Mittel gegen die Tyrannin bieten würde.
 

Mit flinken Fingern wählte Alena den passenden Schlüssel und . . . Er passte nicht.
 

Blinzelnd starrte sie auf den Bund in ihren Händen. Das konnte doch nicht sein. Der richtige Schlüssel musste doch an diesem sein. Ihre Stiefmutter würde ihn niemals aus den Augen lassen, oder?
 

Also versuchte sie es mit einem weiteren Schlüssel und dann noch einem, doch keiner passte auch nur ansatzweise.
 

Frustriert stellte sie sich vor, wie sie den Bund aus dem Fenster warf, ihrer Stiefmutter an den verbohrten Kopf. Aber nein, auch das wäre keine Lösung. Wenn auch ein befriedigender Akt für den Moment.
 

Stattdessen ließ sie den Blick durch das Zimmer gleiten. Wo könnte sie den Schlüssel stattdessen verstecken? Doch nicht unter ihrem Rock, oder? In ihrem Schlafzimmer vielleicht? Aber nein. Sie hatte ihn entweder bei sich, oder er war in greifbarer Nähe, sobald sie etwas aus dem Geheimversteck wollen würde. Und sie war kein Mensch für geheime Taschen. Sie misstraute zwar den Menschen um sie herum, aber sie hielt sie auch nicht für sonderlich gescheit.
 

Alenas Blick blieb an dem riesigen Eichentisch hängen, an welchem ihr Vater noch so häufig gesessen hatte. Sie hatte darunter gespielt, hatte sich eine tiefe Höhle vorgestellt, in welcher sie Fledermäuse jagen und Fantasietiere entdeckt hatte.

Waren die Schubladen nicht ebenfalls zum Verschließen?
 

Zu dem Schloss passte jedenfalls nur ein einziger Schlüssel am Bunde und nach einem Moment des genauen Hinhörens - ob sich irgendjemand näherte - setzte sie an und . . . Die Schublade öffnete sich. Begeisterung ergriff von ihr Besitz, ebenfalls wie eine noch größere Aufregung als zuvor.
 

Aufmerksam durchwühlte sie den Inhalt, fuhr über den Boden und befühlte jede Ecke, um schlussendlich in der letzten Schublade am hinteren Boden eine Erhebung zu finden. Eine Art Kästchen, wie es schien. Kurz befürchtete sie, dass auch dieses wieder verschlossen sein würde, aber der Knopf zum Öffnen war zu auffällig, um ihn zu übersehen. Oder zu erfühlen.
 

Alena horchte ein weiteres Mal, doch die Stimme ihrer Stiefmutter war noch nicht zu hören und auch der Rest der Geräusche wirkte normal und unauffällig genug, um sie zu beruhigen.
 

Das Kästchen öffnete sich und heraus zog sie einen alten, kleinen Schlüssel. Derselbe Schlüssel, den bereits ihr Vater genutzt hatte. Er war der Inbegriff für ein Geheimnis gewesen und wann immer Alena in einer Geschichte von einem Schlüssel für einen Schatz gehört hatte, hatte sie sich diesen vorgestellt.
 

Und es war, als wären die letzten zehn Jahre nicht passiert. Geübt steckte sie ihn genau im richtigen Winkel in die richtige Öffnung und mit einem befriedigenden Geräusch öffnete sich das Geheimversteck.
 

Aus seinem Inneren quollen Dokumente hervor, gestapelt und zusammengepresst. Hätte ihre Stiefmutter nicht einmal aufräumen können? Das würde ja Stunden einnehmen, bis sie die alle durch hätte.
 

Ein willkürlicher Griff hinein und sie hatte Beweise für eine jahrelange Misswirtschaft und Steuerbetrug in ihren Händen. Die königlichen Steuern waren sicher nicht gerecht, aber dass ihre Stiefmutter das Geld für sich genutzt hatte, anstatt ihren Untertanen davon abzugeben und ihnen allen ein besseres Leben zu geben, ließ Alena vor Wut zittern.
 

Diese alte, engstirnige, egoistische, furchtbare alte Frau!
 

Mit einer neuen Wut im Bauch legte Alena die Papiere zur Seite und konzentrierte sich auf alles, was älter aussah. Da das Papier mit der Zeit immer gelblicher wurde, war diese Aufgabe relativ einfach und wurde nur durch die schiere Menge erschwert.
 

Langsam aber kam sie immer weiter voran und mit einem Mal hielt sie ein Dokument in den Händen, welches ihr eigener Vater verfasst hatte. Und dann, endlich, fand sie es: Ihr Stammbaum und die genauen Beschreibungen ihrer Mutter und ihrer selbst. Ihr Vater hatte sie Zeit seines Lebens erweitert. Auch dabei war ein kleines Porträt von ihrer Mutter. Wenn sie ihrem Spiegelbild im Fluss trauen konnte, hatte sie zumindest ihre Haare und ihre Figur von ihr geerbt.
 

Ein lautes Lachen im Hof ließ sie aufschrecken. Was sie hatte, musste wohl reichen, denn mehr Zeit bekam sie wohl nicht.
 

Geschwind steckte sie ihre Fundsachen in ihre Rocktasche und stopfte die restlichen Papiere zurück, bevor sie das Geheimfach wieder schloss und das Gemälde zurück an die Wand drückte.

Den Schlüssel wieder in das Kästchen in der Schublade zu schieben war eine kompliziertere Aufgabe, vor allem mit einem Herzklopfen, das der gesamte Innenhof hören müsste. Sie würde ihn am liebsten so lassen, aber wenn ihre Stiefmutter auch nur irgendeinen Verdacht schöpfen würde, würde sie alles vernichten, was in diesem Schrank war. Und sie brauchten es noch, selbst wenn sie den wichtigsten Teil bereits hatte. Aber wer wusste schon, was für Schätze noch zu finden waren?
 

Endlich rastete der Schlüssel ein und das Kästchen schloss sich wieder. Mit viel Kontrolle schloss sie die Schubladen leise und legte den Schlüsselbund unter einem Papierberg ab, als hätte ihre Stiefmutter ihn dort vergessen. Sie würde es nicht merken, oder? Nicht bei all dem Chaos, das sie selbst anrichtete.
 

„Tut mir leid. Ich bin doch wahrlich solch ein Schussel. Meinen Schlüssel zu vergessen, aber wirklich!“
 

Die Stimmen waren nicht mehr im Hof. Die Stimmen waren auf der Treppe, beinahe schon an der Türe und Alena blieb nichts anderes übrig, als mit einem Sprung hinter den schweren Vorhang zu hechten. Sie könnte den Sessel noch etwas ... nein, dafür war keine Zeit mehr, denn im nächsten Moment öffnete sich die Türe und das falsche Lachen ihrer Stiefmutter dröhnte ungefiltert zu ihr.
 

Die Augen fest geschlossen, hoffte sie einfach, dass weder ihr Kleid, noch ihre Haare einen Schatten warfen oder hinter dem Vorhang hervor lugten. Und dass Vitek ihre Stiefmutter gut genug ablenken konnte.
 

„Seht Ihr meinen Schlüsselbund? Es ist ja wirklich zu peinlich.“
 

„Ich helfe Euch suchen“, versprach Vitek und seine schweren Schritte bewegten ich quer und wahllos durch den Raum.
 

Einen Augenblick später starrte er direkt in Alenas Augen, die nun weit geöffnet waren.
 

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Viteks POV
 

„Habt Ihr sie gefunden?“
 

Mit viel erzwungener Ruhe, die er kaum im Inneren verspürte, drehte er sich wieder weg. Weg von Alena und ihren großen Augen, voller Panik und Hoffnung zugleich.
 

„Nein, tut mir leid.“
 

Er schüttelte den Kopf und wagte einen weiteren Blick zu der Versteckten, als ihm die Alte den Rücken zukehrte. Alena hob den Zeigefinger ihrer rechten Hand und wies in Richtung Schreibtisch, der Blick nun bedeutungsschwanger.
 

„Vielleicht habt Ihr ihn bei Eurem Schreibtisch liegen lassen?“
 

Er hoffte, während die Alte sich wendete und mit Adleraugen den Platz betrachtete, welcher in Dokumenten beinahe unterging. Er hoffte und wartete, bis sie mit einem Mal ein Papier zur Seite schob und triumphierend einen Schlüsselbund darunter hervor zog.
 

„Was für ein Glück“, brachte er mit einem Lächeln hervor, während er in die Mitte des Raumes ging, den Blick starr auf die Gutsherrin gerichtet.
 

„Nun können wir unsere Besichtigung endlich fortsetzen“, lachte diese ihn an.

War sie misstrauisch? Er konnte es nicht sagen, doch es blieb ihm kaum etwas anderes übrig als mitzuspielen.
 

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Alenas POV
 

Die Schritte der beiden näherten sich der Türe und traten schlussendlich auf die knarrenden Dielen auf dem Treppenabsatz. Die Türe fiel ins Schloss und ein Schlüssel drehte sich.
 

Wirklich?
 

Alena blieb fluchend hinter dem Vorhang sitzen. Ahnte ihre Stiefmutter etwas? Oder war das Abschließen nur eine Reaktion auf ihren frisch gefundenen Schlüssel?
 

Frustriert ließ sie ihren Kopf zurück und gegen die Wand fallen. Wie sollte sie nur wieder hier raus kommen? Die beiden würden wohl so schnell nicht wieder zurück kehren und sie musste zurück zu ihrer Arbeit, um einen weiteren Verdacht zu vertuschen.
 

Konnte sie das Schloss öffnen? Nein, das hatte sie nie gelernt. Und doch musste es eine Möglichkeit geben zu fliehen, bevor die Herrin des Zimmers ihre Abwesenheit bemerkte. Oder zurück kam.
 

Was wohl Vitek dachte?
 

Sie blieb nur noch einen Moment lang an ihrem Platz sitzen, kurz versucht, einfach abzuwarten was passieren würde. Aber das konnte sie nicht. Es würde sie wahnsinnig machen!
 

Also schlich sie vorsichtig zu der schweren Tür und probierte aus, ob sie überhaupt richtig gehört hatte.

Leider ja.
 

Also betrachtete sie das Schlüsselloch, stocherte etwas mit einer Nadel und einem eigenen Schlüssel darin herum.

Nichts passierte.
 

Kurz überlegte sie sich, ob sie die Kraft besaß, die Tür aus den Angeln zu heben, als erneute Schritte und Stimmen ihre Konzentration störten. Waren sie bereits zurück? Konnte sie sich noch hinter den Vorhang retten?
 

Der Entscheidungsmoment war vorüber und Alena blieb hinter der Tür stehen, fest gegen die Wand gedrückt.
 

Ein Schlüssel wurde im Schloss gedreht und die Türe schwang langsam auf. Aber nicht ihre Stiefmutter betrat den Raum, sondern Vitek, den Blick langsam über die Möbel schweifend.
 

„Seid Ihr sicher, dass Ihr Euer Taschentuch hier vergessen habt?“
 

„Ja, Madame. Es muss mir bei der Suche heruntergefallen sein.“
 

Da trat auch ihre Stiefmutter in das Zimmer, den Blick auf den großen Arbeitsbereich gerichtet.
 

„Wo könnte es denn liegen?“
 

Vitek deutete eine kleine Verbeugung an, weiterhin nur eine kurze Entfernung von Alena entfernt.
 

„Wärt Ihr so freundlich, bei Eurem Schreibtisch nachzusehen? Ich möchte nicht Eure Dokumente durcheinanderbringen und werde bei den Sesseln suchen.“
 

Wollte er ihr zur Flucht verhelfen?
 

Ihre Stiefmutter ging gezielten Schrittes zu ihrem Tisch, den Blick suchend auf den Boden gerichtet. Vitek dagegen öffnete die Türe noch weiter, den Blick auf die Vorhänge gerichtet. Doch er kam nicht weit, denn Alena war mit einem Schritt bei ihm und packte ihn am Ärmel, kurz seinen erstaunten Blick suchend, bevor sie unter seinem Arm hindurch aus dem Zimmer verschwand.
 

Sie war am unteren Ende der Treppe angekommen, als sie ein lautes „Ich habe es gefunden!“, vernahm.
 

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Filips POV
 

„Alena Novac?“
 

Filip hielt dem überraschten Blick des Hofmeisters stand und nickte so majestätisch, wie es ihm möglich war. Sein Gegenüber war sich seiner Stellung sehr wohl bewusst und anstatt seiner Neugierde nachzugehen, holte er ein großes Buch aus seinem Regal und öffnete es gezielt.
 

„Sie sollte die Tochter von Matej Novac sein.“
 

Oh . . .
 

Filip riss sich zusammen.
 

„Ich gehe davon aus, wobei ich die Namen ihrer Verwandten nicht genau weiß. Ihr Vater sollte der ehemalige Gutsbesitzer von Gut Novac sein. Er ist bereits vor einigen Jahren gestorben.“
 

Der Hofmeister nickte zustimmend, die vorliegenden Seiten mit forschendem Blick durchsuchend.
 

„Ja, dann ist es Matej Novac, den Ihr sucht, mein Prinz.“
 

Und wieder war ein Geheimnis gelüftet worden.
 

„Ah, hier habe ich sie!“
 

Der Hofmeister hob den stolzen Blick und forderte Filip auf, sich zu ihm zu gesellen.
 

„Alena Maylin Nováková. Tochter von Herr Matej Novác. Geboren in einer Winternacht, Anfang des neuen Jahres vor zehn und neun Jahren. Eine Schande, dass sie dieses Alter nicht mehr erreichen durfte. Sie war ein lebendiges Kind, ich erinnere mich. Kaum ein Mädchen hat es sonst gewagt, durch das Zimmer zu laufen und Verstecken unter meinem Tisch zu spielen. Ihr Vater lachte nur und bat mich, sie gewähren zu lassen.“
 

Filip verspürte, wie ein unangenehmer Schauer über seinen Körper kroch.
 

„Was meint Ihr damit? Dass sie das Alter nicht mehr erreichen durfte?“
 

Der Hofmeister deutete auf einen zusätzlichen Eintrag hinter ihrem Namen.
 

„Sie ist vor knapp zehn Jahren verstorben, kurz nach dem furchtbaren Unfall ihres Vaters. Ihre Stiefmutter sagte, dass die Trauer um ihren Vater dafür sorgte, dass sie weder essen noch schlafen konnte. Das arme Mädchen war am Ende zu schwach, um zu sprechen.“
 

Nun stieg noch eine Übelkeit in Filips Kehle hoch, aber er zwang sich weiter zur Konzentration. Er musste herausfinden, was die Wahrheit war!
 

„Habt Ihr sie gesehen?“
 

„Wen? Die Witwe?“
 

„Nein, den Leichnam des Mädchens.“
 

Der Hofmeister schüttelte den Kopf: „Würde ich jeden Toten des Reiches betrachten, so hätte ich keine Zeit für etwas anderes. Ich erinnere mich zudem, dass es eine furchtbare Zeit war. Der Sommerregen nahm kein Ende und die Stürme gönnten uns keine Ruhe. Es war kaum möglich solch eine Reise zu unternehmen. Und als ich von ihrem Tod erfuhr, war sie bereits seit Wochen unter der Erde.“
 

Auch wenn ein Teil in ihm weiterhin fragte, ob sie nicht gelogen haben könnte, so war die Wahrscheinlichkeit, dass ihre Stiefmutter die Schuldige war, weitaus größer. Immerhin bedrohte und erpresste sie ihn bereits seit Wochen.
 

„Habt Ihr ein Porträt von ihr? Oder ihren Eltern?“
 

Der Hofmeister ging ohne ein weiteres Wort wieder zu seinem Regal und zog ein noch größeres Buch daraus hervor. Nach ein paar Momenten des Suchens zeigte er auf mehrere kleine Zeichnungen unter dem Titel „Novac“.

Fein säuberlich waren die Namen unter die jeweiligen Bilder geschrieben worden. Manche Namen hatten mehrere Porträts, während andere nur ein einziges hatten, je nach Lebensdauer.
 

Matej Novac hatte zwei Zeichnungen, in jungen und mittleren Jahren. Seine Frau nur ein einziges, ebenso wie Alena. Und doch hätte man das Bild ihrer Mutter ohne Probleme zu Alena legen können, denn sie war ihrer Mutter wie aus dem Gesicht geschnitten. Noch etwas jünger und das Haar wilder, aber die zierliche Gestalt war dieselbe.
 

Momente des Schweigens gingen vorbei, während Filip auf das Buch starrte und versuchte, seine Gedanken zu ordnen. Schließlich hielt es der Hofmeister nicht mehr aus und er sprach Filip an: „Weshalb fragt Ihr, mein Prinz?“
 

Filip hob den Blick. Seine Stimme klang fester, als er sich fühlte: „Behaltet diese Bücher gut im Auge. Wir werden sie in Kürze brauchen, denn es besteht die Möglichkeit, dass wir Opfer eines Betrugs geworden sind.“
 

Der Beamte sah ihn aus großen Augen an.
 

„Ein Betrug?“
 

Filip nickte, die Hand zu einer Faust geballt.
 

„Bewahrt Stillschweigen, bis ich Euch rufen lasse. Aber seid gewiss, es wird bald sein. Ich danke Euch für Eure Hilfe. Habt einen schönen Tag.“
 

Und mit diesen Worten wand er sich ab und verließ den Raum. Es wurde Zeit, dass ihr Plan vollendet wurde.
 

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Alenas POV
 

„Ich habe es!“
 

„Ich weiß alles!“
 

„Sie ist eine größere Betrügerin, als wir dachten!“
 

„Sie ist der schlimmste Mensch, den es gibt!“
 

„Wir müssen so bald wie möglich handeln!“
 

„Ich will sie am liebsten morgen im Kerker sehen!“
 

Schweigen setzte ein und sie sahen sich verwirrt an.
 

„Was weißt du?“
 

Filip schien einen Moment zu schwanken, ob er ihr nicht besser den Vortritt lassen sollte, entschied sich dann jedoch dagegen.
 

„Deine Stiefmutter hat angegeben, dass du kurz nach dem Tod deines Vaters ebenfalls gestorben wärst! Aber niemand hat je deine Leiche gesehen und das Bild deiner Mutter ähnelt dir viel zu sehr, als dass du eine Betrügerin sein könntest!“
 

Alena fühlte sich zwischen Wut und Erleichterung hin und her gerissen. Irgendwie hatte sie Zweifel gehabt, ob die offiziellen Berichte ihre Geschichte unterstützen würden, oder nicht. So viele Jahre mit gestürzter Hoffnung hatten sie vorsichtig werden lassen. Sogar vorsichtig gegenüber sich selbst.
 

„Zumindest haben wir damit Klarheit und Unterstützung. Ich habe zudem den Stammbaum gefunden und ein kleines Familienporträt. Wenn wir meine Stiefmutter anklagen, muss auch ihr geheimes Fach durchsucht werden. Sie betrügt seit Jahren das Königreich um Steuern und verwendet das Geld nur für sich, anstatt für die Menschen um sie herum.“
 

„Wie es scheint, haben wir keine Überraschungen gefunden.“
 

Filip schüttelte ungläubig den Kopf.
 

„Nein. Aber es wäre auch nicht in unserem Sinne gewesen, oder?“
 

Anstatt einer Antwort seufzte Filip und sah sie dann forschend an.
 

„Was ist los?“
 

„Alena . . . Was tun wir, wenn unser Plan fehlschlägt? Wenn sie uns nicht glauben?“
 

„Sie müssen uns glauben!“
 

„Aber was, wenn nicht?“
 

Sie zuckte mit den Achseln. So weit wollte sie überhaupt nicht denken. Ihr Plan musste einfach klappen.
 

Filip legte eine Hand an ihre Wange, ihren Blick haltend.
 

„Ich habe Gold, Alena. Ich habe genug, um fortzulaufen und nie wieder zurück zu kehren. Genug, um uns zu versorgen, bis wir unseren Platz gefunden haben.“
 

Hitze stieg ihr in die Wangen, doch sie hielt seinen Blick.
 

„Ein Bauer zu sein, passt nicht zu dir, Filip. Es wird dich unglücklich machen.“
 

„Ich bin lieber ein Bauer, als jemals wieder von dir getrennt zu sein.“
 

Alena stockte der Atem.
 

Ihr Herzschlag dröhnte in ihren Ohren und Tränen bahnten sich ihren Weg auf ihre Wangen.
 

Ihre Kehle schien wie zugeschnürt, kein Wort drang über ihre Lippen.
 

Doch mit jedem Moment, den sie schwieg, wuchs seine Unsicherheit. Und das konnte sie nicht zulassen. Gerade als er seine Hand zurückziehen wollte, griff sie danach, hielt ihn fest und atmete tief durch, den Blick gesenkt.
 

„Ich will mich nicht von dir trennen, Filip. Egal ob wir es schaffen, oder nicht, ich will bei dir bleiben. Ich habe Angst, dass du mit mir nicht glücklich werden kannst, also überlege dir besser gut, ob es wirklich das ist, was du willst.“
 

„Ob wir Diener haben, oder uns unser Essen selbst jagen müssen, das ist egal. Ich weiß, dass ich es mit dir schaffen kann und will.“
 

Mit einem Lachen, das wohl bis zu ihren Ohren reichte, zog Alena seine Hand vor ihren Mund und küsste sie.
 

„Dann bleibt mir nur noch eine Frage, Filip. Egal, ob wir es schaffen, oder nicht: Willst du mich heiraten?“


Nachwort zu diesem Kapitel:
Es geht auf das Ende zu!
Ein Danke an alle, die mit dabei sind ;) Komplett anzeigen

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